Persönliche Seite von T.R.E.Lentze

Die Geschichte von Sirup und Terpentin.

12. Kapitel: Wie Sirup seinen letzten, sehr gefährlichen Gegner, nachdem und weil dieser ihm einen guten Tag gewünscht hatte, auf den Mond schoß und damit die Geschichte ein glimpfliches Ende nahm.

Nachdem die Stabilisationsminister die Hutseile ihres Königs wieder in die Hände genommen hatten, sagte dieser: "Wir werden uns jetzt zu der Anhöhe begeben, wo die Fichten stehn. Denn ich liebe den Duft ihres Harzes, woher ja auch mein Name kommt, und vor Allem kann ich von dort aus mein Reich ausgezeichnet überblicken." Er ließ sich daselbst wieder festpflocken und beurlaubte seine Minister sowie den Geheimrat, damit sie sich in aller Ruhe und Muße mit dem Ort ihres zukünftigen Wirkens vertraut machen konnten. "Folgt dem Beispiel eures Amtskollegen, des Propagandaministers Sirup, und tut euch keinen Zwang an", rief er ihnen nach. "Aber übertreibt's nicht mit dem Suff!" Dann verschränkte er seine Arme und sah mit unbewegter Miene auf die Stadt hinab.

Wenige Minuten aber, nachdem sie gegangen waren, erschien plötzlich ein Trupp schwerbewaffneter Männer mit Gasmasken. Der erste trat direkt auf Terpentin zu, stellte sich vor als Polizeipräsident und sagte: "Nachdem du mit deinen Komplizen bereits mehre Städte überfallen und die Bevölkerung allein durch deine Erscheinung in mehr als vertretbarem Maße zum Nachdenken angeregt hast, sind die Folgen deines letzten Überfalls so verheerend, daß wir die ganze Stadt für unbewohnbar erklären mußten. Aufgrund der Forderungen zahlreicher Bürgermeister bin ich nunmehr gezwungen, unverzüglich gegen dich einzuschreiten. Zwar hat man sich auf ein Gesetz, das deine Existenz verbietet, wegen gewisser Grundsatzfragen nicht einigen können, aber allein die in Zusammenhang mit deiner unzulässigen Huthöhe angefallenen Verwaltungs-, Bearbeitungs-, Versäumnis- und Mahngebühren, deren Begleichung dir auferlegt wird, haben eine derartige Höhe erreicht, daß ich dich aufgrund deiner ungeklärten Vermögensverhältnisse sofort in Haft nehmen muß."

Um nicht die Frage aufkommen zu lassen, wie er das bewerkstelligen wolle, fuhr er rasch fort: "Da dir dies sicher sehr unangenehm wäre, wird dir hiermit die einmalige Chance gegeben, deine Schuld durch tätige Reue zu begleichen. Dazu mußt du uns deine schriftliche Einwilligung geben, daß wir dicht unter der Spitze deines Hutes eine Radarantenne anbringen dürfen, denn aufgrund seiner außerordentlichen Höhe und seiner roten Farbe eignet er sich vorzüglich als Sende- und Empfangsmast. Gleichzeitig damit verpflichtest du dich, vermöge deiner Antenne alle obskuren Objekte innerhalb eines festgelegten Umkreises zu registrieren und an meine Behörde zu funken. Unter obskure Objekte verstehe ich Personen, die um jeden Preis Aufsehen erregen oder sich interessant machen wollen, indem sie zum Beispiel unzulässig hohe Hüte tragen oder bis zur Phosphoreszenz verfaulen und damit das Volk verleiten, allzuviel nachzudenken, zu fantasieren und Spukgeschichten zu erzählen. Wenn du deine Aufgabe erfüllst, wirst du nach einigen Jahren auch mit einem Verdienstorden belohnt, den wir bereits für dich angefertigt haben."

Nach kurzer Überlegung stimmte Terpentin zu. "Allerdings pflege ich nur mit meinem eigenen Federhalter zu unterscheiben," sagte er, "und dieser steckt hinter dem rechten Ohr meines Wissenschaftsministers. ich bitte dich, schick ihn zu mir und laß uns allein, damit wir beraten können, bevor ich unterschreibe." - Der Polizeipräsident übergab ihm das Formular. "Ich freue mich," sagte er, "daß du die Absicht hast, ein vorbildlicher Staatsbürger und dem Volk ein unbequemer Mahner zu werden." Dann zog er mit seinen Leuten ab.

Nicht lange danach kam eine Gestalt auf den König zugetorkelt, hinsichtlich der man aus der Ferne im Zweifel sein konnte, ob es sich um einen Säugling handelte, der das Laufen lernt, oder um einen betrunkenen alten Zwerg.

Es war der Wissenschaftsminister. "Mich schickt der Polizeipräsident zu dir", sagte er. - "Was kann ich tun," fragte Terpentin, "um diesen loszuwerden?" - "Du brauchst nichts zu tun als zu warten, antwortete der Minister hicksend. "Wie ich nämlich trotz meines alkoholischen nicht unerheblichen Schwipses soeben mit großer Präzision berechnet habe, wird für die nächsten zwei Stunden jedes Objekt, das infolge einer Explosion der unter Sirups Käseglocke angestauten Fäulnisgase senkrecht in die Luft geschossen wird, das Gravitationsfeld der Erde verlassen und alsbald auf dem Mond landen; denn dieser steht jetzt kurz vor dem Kulminationspunkt seiner Umlaufbahn. Es kann nun aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß niemand anders als der Polizeipräsident Auslöser und Abschußobjekt der besagten Explosion sein wird. Bevor er nämlich mich wegen Trunkenheit in Verbindung mit Klugscheißerei und den Geheimrat wegen wiederholten Beinstellens zu verhaften beabsichtigt, will er sich zunächst mit Sirup wegen Fahrerflucht auseinandersetzen, was zweifellos einen sprunghaften Anstieg seines Adrenalinspiegels und damit seiner allgemeinen Erregbarkeit zur Folge haben wird."

Der König dankte dem Minister für die vortreffliche Erfüllung seines Denkauftrages und entließ ihn erneut für den Urlaub. Unterdessen war der Polizeipräsident mit seinen Leuten auf dem Weg zum Rathaus. Kurz vor dem Ziel stolperte der ganze Trupp noch einmal über die langen Füße des Geheimrats. Dieser war so neugierig und ungeschickt zugleich, daß er nicht rechtzeitig den Marschierenden hatte ausweichen können. Zwar wurde sein Kopf schon vorher in peinlicher Erwartung des Kommenden leuchtend rot wie eine Warnlampe, doch war es sein Unglück, daß das Leder seiner Schuhe sich der Farbe und dem Muster des Straßenpflasters stets genau anglich. Mit nur mühsam unterdrücktem Zorn betrat der Polizeipräsident das Rathaus und den Aufzugsschacht. Der war zum Dach zu offen, weil die Aufzugskabine im Keller steckte; auf deren Abdeckung, die mit dem Parterreboden eine Ebene bildete, stand der Handkarren mit dem Propagandaminister. Er war, nachdem er gegen die Eingangstür geprallt war und diese damit zur sofortigen Vergärung gebracht hatte, in den Schacht durchgerollt und hatte sich damit unerlaubt vom Unfallort entfernt.

"Einen schönen guten Tag, ich hätte gerne deinen Ausweis", sagte der Polizeipräsident. - "Morgen", antwortete Sirup, womit er offenließ, ob es sich um einen Gruß handelte oder um eine Vertröstung auf den folgenden Tag. Da er auf weitere Anfragen nicht reagierte, griff der Polizeipräsident kurzentschlossen zu seiner Maschinenpistole und feuerte auf das Glas der Käseglocke; anschließend flog er durch den Aufzugsschacht senkrecht zum Mond. Seitdem will man ihn dort, zuweilen bepackt mit einem Reisigbündel, des Öfteren erkannt haben.


Als nach einigen Wochen die berauschenden Dämpfe verflogen waren, kehrten die Bürger in ihre Stadt zurück. Es versteht sich, daß ihr Leben jetzt nicht mehr so genormt ablief wie zuvor, auch nachdem der ganze Alkohol getrunken und alle Sirupmasse aufgeschleckt war. Die kleine Echse übrigens, der Restbestand des Psychiaters, erwies sich als ein ausgezeichnetes und unverwüstliches Seelenheilmittel, denn ihr Panzer war dermaßen widerstandsfähig, daß man mit Äxten und anderen Gewaltwerkzeugen unbegrenzt darauf herumhacken konnte. Auf diese Weise konnte jeder Bürger seine Gereiztheit an ihr beruhigen. Nur, wenn er es damit zu arg trieb, pflegte die Psycho-Echse ihren Aggressor vorwurfsvoll oder beleidigt anzuschauen und davonzukriechen. - Für den Geheimrat erfand der Professor eine Brille, mit deren Hilfe er durch jede Schlafzimmerwand hindurchsehen konnte, sodaß auch er sich trotz seiner langen Füße bald recht wohlfühlte.

Was aber König Terpentin betrifft, so hatte er sich mittlerweile ganz in eine Fichte verwandelt; lediglich die drei Stützseile und eine stellenweise etwas rötliche Rinde zeugten noch von seiner früheren Existenz. Sirup war nach der Explosion seiner Fäulnisgase völlig verfault und leuchtete daher auch nicht mehr, sodaß die Bürger, die ihn jetzt für wertlos hielten, vor den Stamm der Fichte karrten. Bald darauf erwies er sich aber als ein zauberhaft wirkendes Düngemittel, denn auf einen Umkreis, der durch die drei Seilpflöcke bezeichnet war, wuchsen in merkwürdigem Tempo junge Fichten empor und bildeten einen Ring um die Urfichte, die von nun an "Der König des Waldes" genannt wurde. Wie sich später herausstellte, flossen einem jeden, der sich innerhalb dieses Kreises aufhielt, besondere Kräfte und Einsichten zu, sodaß der Kreis schließlich zu einem magischen Bezirkm erklärt und vorzugsweise für Bürgerratsversammlungen benutzt wurde. Die Stabilisationsminister aber übten von nun an das Amt von Waldhütern aus und sorgten dafür, daß nicht mehr unnötig Bäume gefällt wurden.